Bern, 1. Juli 2021
2019 griff der Bundesrat zu einem ungewöhnlichen Manöver: In einer
kurzfristigen Aktion lancierte die zuständige Justizministerin mitten in
der bereits seit 2 Jahren laufenden parlamentarischen Debatte zur
Konzernverantwortungsinitiative einen verspäteten Gegenvorschlag. Das
Ziel war, einen griffigen Kompromiss im Parlament zu verhindern und der
Bevölkerung vorzugaukeln, die Initiative brauche es nicht. Rahel Ruch,
Geschäftsleiterin der Koalition für Konzernverantwortung kritisiert im
Namen von 40 Organisationen: «Der Bundesrat plant derart exzessive
Ausnahmeregelungen und Einschränkungen, dass praktisch kein Unternehmen
mehr die Sorgfaltspflichten in den Bereichen Kinderarbeit und
Konfliktmineralien erfüllen muss. Das ist ein Schlag ins Gesicht der
Stimmberechtigten, welche die Konzernverantwortungsinitiative
mehrheitlich angenommen haben.»
Folgende Punkte sind aus Sicht der unterzeichnenden Organisationen besonders problematisch:
Konfliktmineralien: Dubiose Kleinsthändler werden belohnt
- Im
Bereich Konfliktmineralien sieht die Verordnung viel zu hohe
Schwellenwerte vor. Damit wird ein relevanter Teil der in die Schweiz
importierten Konfliktmineralien nicht unter die Sorgfaltsprüfungspflicht
fallen. Oliver Classen von Public Eye konstatiert: «Dubiose
Kleinsthändler werden vom Bundesrat belohnt, obwohl sie z.B. bei der
Goldeinfuhr ein grosses Problem darstellen.»
- Gleichzeitig
werden Unternehmen, die mit rezyklierten Metallen handeln, a priori
ausgenommen. Dies, obwohl dazu gar keine gesetzliche Grundlage besteht.
«Mit dieser Einschränkung fördert der Bundesrat Umgehungs-Tricks, die
heute schon gang und gäbe sind, um Gold von zweifelhafter Herkunft
einzuführen», kommentiert Classen.
Kinderarbeit: Anleitung zum Wegschauen
Im Bereich Kinderarbeit können sich noch mehr Unternehmen aus der Verantwortung befreien:
- KMU
werden vom Bundesrat ungeachtet ihrer Risiken komplett ausgenommen. Von
dem versprochenen, risikobasierten Ansatz kann keine Rede mehr sein –
obwohl die Gesetzgebung dies vorsieht.
- Weiter werden
Grossunternehmen ausgenommen, wenn die Endfertigung ihrer Produkte in
einem Land ohne grössere Risiken für Kinderarbeit geschieht. Vertreibt
ein Schweizer Konzern einen Schuh «Made in Germany» (nur Endmontage in
Deutschland), muss er keine Sorgfaltsprüfungspflicht erfüllen, obwohl
die Bestandteile des Schuhs in einem Drittstaat mit Kinderarbeit
produziert sein können. Damit werden Sinn und Zweck der Bestimmung
völlig ausgehebelt.
- Hat sich ein Grossunternehmen bis dahin
noch nicht aus der Sorgfaltspflicht in Bezug auf Kinderarbeit befreien
können, sieht die Verordnung noch eine dritte Möglichkeit vor: Wenn kein
«begründeter Verdacht» auf Kinderarbeit in Bezug auf ein bestimmtes
Produkt oder eine Dienstleistung besteht, muss auch keine
Sorgfaltsprüfung durchgeführt werden. Das ist ein klassischer
Fehlanreiz: Unternehmen, welche die Augen vor möglicher Kinderarbeit in
ihrer Lieferkette verschliessen, werden darin bestärkt. Nur wer
hinschaut, ist dem Gesetz unterstellt – und das sind klassischerweise
jene wenigen Unternehmen, die bereits freiwillig gegen Kinderarbeit
vorgehen.
International abgehängt
Gegner der Konzernverantwortungsinitiative wurden nicht müde, zu
behaupten, dass der Gegenvorschlag international besser abgestimmt sei.
Fakt ist: Das ganze Gesetz mit seinen massiven Konstruktionsfehlern,
angefangen bei der willkürlichen Beschränkung auf wenige Themen und bis
hin zum kompletten Verzicht auf Kontrollen und Sanktionen ist im
internationalen Vergleich rückständig und überholt. Der
Richtlinien-Entwurf des EU-Parlaments, das deutsche Lieferkettengesetz,
das französische Loi de Vigilance, das neue norwegische Gesetz und die
konkreten Projekte aus Belgien und den Niederlanden gehen alle viel
weiter und sehen behördliche Kontrolle, Haftung oder sogar
strafrechtliche Sanktionen vor. «Die Schweiz hinkt hinterher und
zementiert die Straflosigkeit für jene Konzerne, welche Menschenrechte
oder Umwelt verletzen», hält Danièle Gosteli Hauser von Amnesty
International Schweiz fest.
Die unterzeichnenden Organisationen fordern den Bundesrat auf, die
Verordnung nachzubessern und haben konkrete Anträge eingereicht. Doch
darüber hinaus ist für sie klar, dass auch die beste Verordnung aus dem
Alibi-Gesetz keine international anschlussfähige Regelung macht. Deshalb
wird sich die Koalition hinter der Konzernverantwortungsinitiative
weiterhin für ein griffiges Gesetz einsetzen, das Konzerne wirklich in
die Verantwortung nimmt.
Die ausführliche Vernehmlassungsantwort der Koalition für Konzernverantwortung finden Sie hier.
Folgende Organisationen tragen diese Medienmitteilung mit:
- Alliance Sud
- Amnesty International Schweiz
- Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
- Associazione consumatrici e consumatori della Svizzera italiana
- Brot für alle
- Brücke · Le pont
- Bruno Manser Fonds
- Campax
- Demokratische JuristInnen Schweiz
- EcoSolidar
- Evangelische Frauen Schweiz
- Fastenopfer
- Fédération romande des consommateurs
- FIAN Schweiz
- Gebana
- Gesellschaft für bedrohte Völker
- Greenpeace
- GSoA
- Guatemalanetz Bern
- Helvetas Swiss Intercooperation
- humanrights.ch
- Justitia et Pax
- medico international schweiz
- OeME-Kommission der Evangelisch-reformierten Gesamtkirchgemeinde Bern
- Pro Natura
- Public Eye
- Save the Children
- Schweizerisch Katholischer Frauenbund
- Schweizerischer Gewerkschaftsbund
- Solidar Suisse
- Solifonds
- StopArmut 2015 / Interaction
- Swissaid
- terre des hommes schweiz
- Travail.Suisse
- TRIAL International
- Unité
- Uniterre