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Die Tage sind selten geworden, an denen der UNO-Sicherheitsrat mit geeinter Stimme spricht. Der 24. Januar dieses Jahres war so einer. Die Mitglieder des mächtigen Gremiums «verurteilten die terroristischen Attacken in der Point Triple Area in Benin aufs Schärfste». Dort, im Norden des Landes, griffen nach der Jahreswende bewaffnete Gruppen aus Niger und Burkina Faso einen gut ausgerüsteten Militärstützpunkt der beninischen Armee an.
Die Gruppe Jama’at Nusrat al-Islam wal Muslimin (JNIM), die der al-Qaida nahesteht, reklamiert den Angriff für sich. Rund 30 Menschen starben. Der beninische Oberst Faizou Gomina räumte ein: «Wir haben einen schweren Schlag erlitten.»
Einige Kilometer entfernt von dem Anschlag liegt ein Treffpunkt der Association des Femmes Vaillantes et Actives (AFVA) in der Gemeinde Kandi. Seit Anfang 2021 arbeitet Brücke Le Pont eng mit dieser lokalen NGO im Rahmen des Projekts Karité zusammen. Und somit mit Elise Tama, der Geschäftsführerin von AFVA. Schon lange beobachtet sie, wie die Unsicherheit im Projektgebiet stetig zunimmt. «Die Konfliktdynamik hat einen grossen Einfluss auf unsere Arbeit auf dem Feld», sagt Tama.
Elise Tama, über den Norden Benins wird in Schweizer Medien wenig berichtet. Was passiert dort?
«Der Ursprung der Gewalt liegt in den Grenzgebieten zu Burkina Faso und Niger. Dort destabilisieren bewaffnete Gruppen die Region. Dies hat mehrere Ursachen. Zunächst steigt in der gesamten Sahelzone die Gewalt, auch in den beiden genannten Binnenländern. Zwischen Landwirt*innen und Viehzüchter*innen kommt es zudem immer wieder zu Spannungen um den Zugang zu natürlichen Ressourcen. Auch die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen ist ein Problem. In diesem Kontext fallen die bewaffneten Gruppierungen immer wieder in unserer Projektregion ein. Parallel dazu besteuern sie Landwirt*innen. Die Gruppen schüren Angst, fördern Misstrauen und Spannungen. Davon profitieren sie, denn gleichzeitig inszenieren sie sich als Beschützer der Bevölkerung.»
Wie bedeutet das für eure Arbeit?
«Es gibt
grosse Einschränkungen. Nicht nur für Akteur*innen in der
Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch im humanitären Bereich. Die
zunehmende Unsicherheit verhindert den Zugang zu einigen ländlichen
Gebieten, vor allem diejenigen, die in Grenznähe zu Burkina Faso und
Niger liegen. Dorthin zu reisen ist wegen des hohen Risikos von
bewaffneten Angriffen, improvisierten Sprengsätzen und Hinterhalten äusserst
gefährlich. In diesen roten Zonen werden die Projektaktivitäten häufig
verschoben, oder man gelangt mit militärischer Begleitung dorthin. Dies
allerdings behindert unsere Arbeit stark.»
Eigentlich hätte Elise Tama ein ruhigeres Leben mit mehr Sicherheit führen können. Aufgewachsen im Norden des Landes, entschied sie sich in ihrer Jugend für ein Studium in Rechtswissenschaften in Cotonou, dem wirtschaftlichen Zentrum von Benin. Allgemein unterscheiden sich die Lebensrealitäten der Menschen im Süden frappant von denjenigen ihrer Landsleute im Norden. Dieser ist strukturell benachteiligt, Armut kommt häufiger vor als in den Regionen an der Küste oder dem hügeligen Zentralbenin. Trotzdem hat sich Tama entschieden, in die Region um Kandi zurückzukehren. «Ich hätte in der Stadt bleiben können. Wie alle anderen. Aber ich will meinen Teil zur Entwicklung meiner Gemeinde beitragen», sagt Tama.
Ist der beninische Staat im Norden zu wenig präsent?
«In gewissen ländlichen Gebieten schon. Aber die Behörden sind nicht untätig geblieben. Mit der militärischen Operation «Mirador» hat man die Präsenz in der Konfliktregion seit 2021 stark verstärkt. Mehr als 12 000 Soldat*innen sind hier stationiert, die Bewaffnung der Truppen ist professionell. Den radikalisierten Gruppen aus dem Sahel spielt jedoch die Geografie der Region in die Hände. Die Grenzen mit Burkina Faso und Niger sind durchlässig, das Gelände uneben. Sie nutzen auch die weitläufigen Nationalparks, welche für die beninischen Sicherheitskräfte schwierig zu kontrollieren sind. All das erschwert den Kampf gegen sie.»
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den nördlichen Nachbarländern Niger und Burkina Faso?
«Die Beziehungen sind stark beschädigt. Die Situation ist politisch vertrackt: Die Zusammenarbeit mit den Behörden in Burkina Faso und Niger ist schwierig, seitdem das Militär vor einigen Jahren in beiden Ländern geputscht hat. Das erschwert die lokale Koordination zwischen den Sicherheitskräften.»
Benin grenzt im Norden an die Sahelzone. In Fachkreisen wird diese Region auch Putschgürtel genannt. Denn nicht nur in Niger und Burkina Faso, sondern auch in Guinea, Tschad und Sudan kam es seit 2020 zu Machtübernahmen des Militärs. In diesem Zusammenhang muss auch der Rückzug französischer Truppen aus der Region gesehen werden. Seit Anfang 2025 ist Frankreich in keinem Land im Sahel mehr präsent. Doch während Burkina Faso und Niger das französische Militär aus dem Land verbannt haben, sind in Benin weiterhin Truppen der ehemaligen Kolonialmacht präsent – ein heikler Punkt in den beninischen Beziehungen zu den nördlichen Nachbarn aufgrund des unterschiedlichen Umgangs mit dem geteilten kolonialen Trauma.
Wie schätzt du die militärische Stärke der extremistischen Gruppen ein?
«Sie sind fähig, koordinierte Angriffe auf beninisches Staatsgebiet durchzuführen. Sie können frei zirkulieren und sich zurückziehen, wegen der bereits erwähnten geografischen Bedingungen in unserer Projektregion. Für das beninische Militär macht das die Neutralisierung der Gruppen schwierig. Doch auch die komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen spielen den Angreifern in die Hände. Das Misstrauen in der Gesellschaft wird nicht nur geschürt, es hält sich auch hartnäckig, vor allem zwischen der lokalen Bevölkerung und den beninischen Sicherheitskräften.»
Was bedeutet dieses Misstrauen in der Bevölkerung für die Projektarbeit?
«Die lokalen Gemeinschaften leben unter der ständigen Bedrohung der extremistischen Gruppen. Die Menschen haben Angst, als Komplize mit dem Staat oder NGOs gesehen zu werden, weil sie Repressalien der Extremisten befürchten. Sie zögern deshalb, ihre Meinung frei zu äussern oder an Projekten teilzunehmen. Das erschwert es, zu zuverlässigen Informationen zu kommen. Fehlen diese, ist es anspruchsvoll, die am besten geeigneten Entscheidungen für das Projekt zu treffen. Weil wir aber in der Region gut verankert sind, kommen wir dennoch zu unseren Informationen. Trotzdem erschwert das von den Extremisten geschürte Misstrauen die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteur*innen – den NGOs, lokalen Leadern und Behörden.»
Der Norden ist selbst für beninische Verhältnisse arm. Welchen Einfluss hat dies auf die Sicherheit?
«Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung sind der Nährboden für Radikalisierung. Deshalb ist auch unser Projekt in diesem angespannten Sicherheitskontext so wichtig. Indem wir auf Einkommensförderung, professionelle Berufsausbildung insbesondere bei den Jugendlichen und die Verbesserung der Lebensgrundlagen gefährdeter Haushalte setzen, dämmen wir die Bereitschaft, zur Waffe zu greifen, stark ein. Ausserdem fördert unser Projekt die soziale Kohäsion, indem es die Stigmatisierung bestimmter Gruppierungen verringert. Da spreche ich vor allem von den Peuls.»
Die Peuls sind ein ursprüngliches Nomadenvolk. Sie leben in grossen Teilen Westafrikas, auch in Benin. Die Peuls unterscheiden sich in ihrer Kultur und Kleidung von anderen ethnischen Gruppen im Land. Ihre traditionelle Kleidung besteht aus farbenreichem, wallendem Gewand. Auch Gesichtstätowierungen gehören zur Kultur. Oft werden die Peuls marginalisiert. Unter anderem deshalb nehmen sie am Projekt teil.
Wie siehst du die Zukunft des Projekts?
Es wird wichtig sein, die gesellschaftliche und partizipative Dimension im Projekt weiter zu integrieren. Die Situation im Norden Benins ist derart komplex, dass daran kein Weg vorbeiführt. Die Menschen müssen aktiv dazu beitragen, Konflikte konstruktiv zu lösen. Das bedeutet vor allem auch, lokalen Meinungsführer*innen eine Schlüsselrolle im Projekt zu geben. Klar ist: Mit dem Karité-Projekt stärken wir nicht nur die sozioökonomische Position der Frauen und tragen zur Einkommensförderung in Familien bei. Sondern leisten einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Radikalisierung vor Ort.