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Wie unschuldig die Weltkarte in meinem Schulatlas aussieht. Breitenkreise und Meridiane stülpen auf unsere Welt ein geodätisches Gitter mit dutzenden Vierecken, man betrachtet Länder und Kontinente, Flüsse und Meere. «Unsere Welt»; das ist die Mercator-Projektion. Auch 500 Jahre, nachdem ihre Entwicklung die Orientierung europäischer Seefahrer revolutionär verbessert hat, ist sie unter den Weltkarten die Standardversion. Wir finden sie in Newsportalen, GPS-Geräten, Büchern und Lehrmaterial.
Durch die Brille der Mercator-Projektion sehen wir die Welt. Und erkennen sie doch nicht. Denn ihr Erbe ist ein Zerrbild: Länder nahe von Nord- und Südpol werden unverhältnismässig gross, Länder in Äquatornähe unverhältnismässig klein dargestellt. Ein Beispiel: Eigentlich passt in den Kontinent Afrika Russland fast zweimal rein. Selbstredend, dass die Kolonialstaaten die Mercator-Projektion als praktische und ideologische Stütze genutzt haben, um die Ausbeutung des sogenannten Globalen Südens zu organisieren. Entsprechend vehement kämpft die Afrikanische Union heute gegen dieses eurozentrische Weltbild.
Karten sind in unseren Köpfen und prägen wortwörtlich unser Weltbild. Diese Denkmuster sind fest in uns eingeschliffen. Und alles andere als unschuldig. Denn auch sprachlich reproduzieren wir regelmässig neokoloniale Bilder. So sprechen wir oft von Amerika und meinen eigentlich die USA. Die rund 668 Millionen Einwohner*innen aus Lateinamerika und der Karibik? Denken wir oft nicht mit – auch wenn in den USA nur halb so viele Menschen leben. Amerika; das ist die Freiheitsstatue, American Football, Marylin Monroe und Mount Rushmore.
Amerika; das ist auch die Geschichte eines Kontinents, welcher immer wieder von US-amerikanischer Machtpolitik geprägt wurde. Vor allem die zentralamerikanischen Staaten werden im US-aussenpolitischen Jargon als «Hinterhof» bezeichnet – ein weiteres neokoloniales Sprachbild.
Noch heute ist der Einfluss der USA in der Region gross. Das gilt nicht zuletzt auch für die Wahlen in Honduras, welche am 30. November 2025 stattfinden. Wenige Jahre nach Ende der Diktatur entscheidet das Stimmvolk über die politische Zukunft des Landes. Als Entwicklungsorganisation ist für Brücke Le Pont die politische Situation in Honduras entscheidend, führen wir zusammen mit unseren Partnerorganisationen vor Ort doch mehrere Projekte im Land. Zudem hängt der Erfolg von nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit eng mit der politischen Stabilität im jeweiligen Land zusammen.
Womit wir bei Salvador Nasralla wären. Der ehemalige Sportjournalist und TV-Moderator rechnet sich als einer von drei Kandidierenden Chancen auf das Präsidialamt in Honduras aus. Seine Methoden gleichen derjenigen von Donald Trump: Er hat Troll-Farmen in den Sozialen Medien aufgebaut, welche seine politischen Gegner*innen, allen voran die derzeit regierende Xiomara Castro, diskreditieren. Allgemein übt er über sein Medienimperium grossen Einfluss auf die öffentliche Meinung aus. Dabei spricht er sich gegen die Gewaltenteilung aus und kritisiert die jetzige Regierung, sich «als Feind der USA» zu positionieren. «Du kannst dich nicht zum Feind von jemandem erklären, zu dem du eine so wichtige Beziehung hast», so Nasralla, der die aktuelle Regierung als Kommunisten bezeichnet, die Honduras in ein neues Venezuela verwandeln wollen. Auch die rhetorische Nähe zu Donald Trump ist unverkennbar.
Dass Salvador Nasralla von den Honduraner*innen zum neuen Präsidenten gewählt wird, ist nicht unwahrscheinlich. Zusammen mit Rixi Moncada von der jetzigen Regierungspartei Libre hat er leicht bessere Chancen als Nasry Asfura, welcher der ehemaligen Diktatur nahesteht. Letztlich ist aber möglich, dass niemand der Kandidierenden ein absolutes Mehr holt. Ebenso unklar ist, ob die neue Regierung auch auf eine Mehrheit im Parlament zählen kann. Expert*innen befürchten, dass ein enges Wahlresultat dazu führt, dass keine der verlierenden Parteien ihre Niederlage anerkennen wird
Nasralla sendet hier den USA klare Signale. Mit seinem Wahlkampf bereitet er schon jetzt gute Beziehungen zur derzeitigen US-Regierung vor. Er setzt darauf, dass das Weisse Haus einen allfälligen Wahlsieg von Rixi Moncada nicht anerkennen wird. Nach diesem Szenario würde Donald Trump helfen, Salvador Nasralla in das Amt des honduranischen Präsidenten zu hieven. Es wäre kein Novum im sogenannten «Hinterhof»: Schon nach den Wahlen im Jahr 2017 haben die USA den illegitimen und diktatorischen Juan Orlando Hernández trotz diverser Irregularitäten im Wahlprozess anerkannt.
Was Nasralla in beiden Szenarien versuchen würde: Aushebelung der Gewaltentrennung, Unterdrückung der Zivilgesellschaft und Aushöhlung der Demokratie. Die Parallelen zur Situation in den USA und El Salvador, wo Brücke Le Pont ebenfalls tätig ist, sind frappant.
Einmal mehr zeigt sich der lange Schatten der USA auf die Länder in Zentralamerika. Brücke Le Pont bereitet sich für die verschiedenen Szenarien vor. Mit einer Risiko-Analyse antizipieren wir zusammen mit unseren Partnerorganisationen vor Ort, wie wir unser Programm den verschiedenen möglichen Regierungen anpassen können, ohne an Wirkung einzubüssen.
Dabei greifen wir auf eine reichhaltige Erfahrung zurück. So sind es unsere Partnerorganisationen gewohnt, in autoritären oder gar diktatorischen Verhältnissen zu arbeiten. Die Erfolge, die wir beispielsweise mit unserer Partnerorganisation Colectiva de Mujeres Hondureñas (Codemuh) im Rahmen des Projekts Obreras de Maquila im honduranischen Textilsektor erzielt haben, finden ihren Ursprung aus der Zeit der Diktatur. Inzwischen fliesst das Wissen über Arbeits- und Menschenrecht von Codemuh sogar in die Rechtsprechung der höchsten Gerichte ein; die Geschäftsleiterin trifft sich mittlerweile regelmässig mit dem Vorsteher des Bundesgerichts und mit Abgeordneten des Parlaments.
Die Wahlen in Honduras am 30. November sind richtungsweisend. Doch Brücke Le Pont ist auf die verschiedenen Szenarien vorbereitet. Unwahrscheinlich scheint die Vision, wonach Honduras der 51. Bundesstaat der USA werden soll – eine Idee, von der auch Nasralla nicht ganz abgeneigt ist. Dass diese Idee nur Wahlkampfgeplänkel bleibt, wäre auch für die Herausgeber*innen meines Schulatlas eine gute Nachricht. Denn dann könnten sie sich in Ruhe der Frage widmen, wie man die Länder aus dem sogenannten Globalen Süden etwas realitätsnaher abbilden könnte.